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Coming of Rage von Sophie Edina

Berührende Liebesgeschichte mit tiefangelegten Figuren und sorgsamer Einbindung von ernsten Themen

 

Jeremy hat sein Leben nicht zum ersten Mal in den Sand gesetzt, seine Beziehung nahm ein tragisches Ende, mit seinem Bruder, seiner einzigen Unterstützung, überwirft er sich und er schleppt enormen psychischen Ballast mit sich herum, als er per Zufall auf Alex trifft, ein junger gefestigter Mann, der sichtbar ähnlich aus der Bahn geworfen worden ist, nun aber scheinbar fest im Leben steht, obwohl er einige Jahre jünger als Jeremy ist.

 

Zugeben: Der Einstieg in diesen Roman ist sehr schwer, aber ich verspreche: Es lohnt sich wirklich, durchzuhalten! Was mir dabei besonders gut gefallen hat, waren tatsächlich die Figuren. Sie werden von der Autorin so authentisch beschrieben, dass man sie einerseits sehr lieb gewinnt, andererseits las Figuren mit Schwächen und Fehlern wahrnimmt. Die Hauptfigur ist im Umgang mit dem Bruder zum Beispiel aber auch durch seine unbeherrschte Wut manchmal richtiggehend unsympathisch, aber wir kommen ihr im Laufe der Geschichte so nah, dass wir sie gut verstehen, ihre Gefühle nachempfinden, die Gedanken verstehen.

 

Auch die Nebenfiguren haben mir sehr gut gefallen, besonders natürlich Alex (wir verlieben uns als Lesende, einfach weil wir ihn aus Sicht der Hauptperson kennenlernen), aber auch Theo, Stella, selbst Mary, ohne direkten Auftritt, aber dennoch mit einer unglaublich tiefen Präsenz ... sie alle waren mir beim Lesen so nah.

 

Behutsam thematisiert die Autorin sehr schwere Themen, besonders spannend fand ich die Alkoholsucht. Dabei gibt sie den Lesenden jederzeit Alex an die Hand, der nicht nur für Jeremy, sondern auch für die Lesenden wie eine Sonne fungiert, die sich immer wieder durch die dunklen Wolken kämpft. Obwohl die Thematik sehr ernst ist und wir Jeremys Leid nachempfinden können, habe ich mich an keiner Stelle hilflos oder hoffnungslos gefühlt.

 

Kritisch anzumerken ist der, wie oben erwähnte, sehr zähle Anfang. Der Schreibstil ist in den ersten 10 % unglaublich schwer zu lesen, was vermutlich auch an Jeremeys Innenleben hing, das zu Beginn besonders chaotisch und unsortiert ist, dennoch fiel es mir schwer, weiterzulesen. Ich bin froh, dass ich es nicht abgebrochen habe, denn es hat sich so gelohnt. Eine Handvoll Rechtschreibfehler haben sich ebenfalls eingeschlichen - es waren nicht genug, um mich wirklich zu stören.

 

Ganz besonders gelungen fand ich die Repräsentanz der Bisexualität von Jeremy. Sie ist nie im Vordergrund, charakterisiert ihn nie, aber die Art wie Jeremy über die Frauen und Männer in seiner Vergangenheit und Gegenwart erzählt ... ich habe ihm seine Bisexualität so gut abgenommen und fand es erfrischend, wie wenig Alex versteht, was Sache ist, weil selbst er als schwul geouteter Mann zu sehr im binären Gesellschaftsbild gefangen ist und nicht erkennt, was los ist, als Jeremy ihm von seiner Exfreundin erzählt. Als Jeremy ihn aufklärt, ist das so authentisch und fühlt sich so echt an, weil Bisexualität oft so unsichtbar ist, wie sich Jeremy in dem Moment fühlt.

 

Jeremy ist eine der wunderbarsten bisexuellen Figuren, die ich je gelesen habe.

 

Dass die Autorin nicht in Klischees denkt, merkt man auch daran, dass Alex ein stolzer, geouteter, schwuler Mann ist, trotzdem gerne in die Kirche geht und sich von Jeremy wegen seines Glaubens auch nicht foppen lässt. Die Figuren sind einfach lebensnah, keine Abziehbilder, sondern echte Charaktere mit Tiefe.

 

Ich vergebe 4,5 Sterne und ich hätte 5 Sterne gegeben, wenn der Anfang etwas einladender gewesen wäre. Ich bedanke mich an der Stelle bei der Autorin für diese wunderbaren Lesestunden und hoffe, dass ich schon bald wieder was von ihr lesen kann. Ich empfehle das Buch uneingeschränkt an alle, die nicht aus persönlichen Gründen von der Thematik Mental Health und Alkoholsucht Abstand nehmen wollen.

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