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Wo die Sterne uns sehen von Justine Pust

Berührende straighte Romance+starker Fokus auf Mental Health&Repräsentation v. Behinderungen

 

Willa und Elias begegnen sich im Gemeindezentrum, wo sich die beiden Studierenden im Ehrenamt betätigen. Sie haben beide in jungen Jahren bereits einiges erlebt, stehen aber mit beiden Beinen im Leben. Als sie sich verlieben, holt beide die Vergangenheit ein, die sie längst hinter sich gelassen gewähnt hatten.

 

Es ist mein erstes Buch von Justine Pust, und bestimmt nicht das Letzte. Der Schreibstil ist sehr intensiv, sehr flüssig geschrieben, die Figuren sehr nahbar und tief ausgelegt. Der Ton ist lebensbejahend, hoffnungsvoll und optimistisch, behandelt gleichzeitig mit viel Respekt einige ernste Themen. Die Autorin legt den Finger in die Wunde, greift Gesellschaftskritik auf und schafft es besonders durch die Nebenfiguren, die Lesenden einen angenehmen Rahmen zu bieten.

 

Willa lebt mit ihren beiden Freundinnen und einem WG-Dackel in einer Wohnung, wo sie viel gemeinsam lesen, auch wenn sich die drei Frauen über das Lieblingsgenre nicht abschließend einig werden können. Elias wiederum lebt nach einem Unfall bei seinen Eltern, seine Freundschaft zu Diaz ist eines der Herzstücke im Buch. So gefiel mir das Buch nicht nur durch die berührende Liebesgeschichte, sondern durch die Nebenplots, die geprägt von starken, herzerwärmenden Freundschaften sind.

 

Die Vergangenheit von Willa ist sehr hart, die Auswirkungen auf die Gegenwart sehr greifbar. Ich fand es gut, dass Themen wie Trauma in der Kindheit und selbstverletzendes Verhalten so konkret aufgegriffen wurde. Willa hat bereits einiges dafür getan, um gesund zu werden, aber manchmal sind Verletzungen der Seele so tief, dass sie wieder aufreißen können. Gleichzeitig wird Willa nie als Opfer dargestellt, sondern als starke Persönlichkeit, die zwar zu einem gewissen Grad Hilfe ihres Umfelds benötigt, aber selbstbewusst mitten im Leben steht. Sie macht im Verlauf des Buches eine große Entwicklung, die mir sehr sehr gefallen hat. Einiges über selbstverletzendes Verhalten habe ich nicht gewusst und ich bin der Autorin sehr dankbar, dass ich durch Willa mehr davon erfahren durfte. Im Nachwort geht die Autorin nochmal darauf ein, betont die Wichtigkeit der Aufklärung und bittet um Aufmerksamkeit auf das Thema. Das fand ich sehr sehr gut!

 

Elias' Geschichte wiederum ist etwas anders gelagert. Er ist sehr behütet aufgewachsen, hatte als junger Erwachsener jedoch einen schweren Unfall, auf Grund dessen er eine körperliche Behinderung zurückbehalten hat. Er ist für die Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen, ist jedoch nicht querschnittgelähmt. Ein Detail, das mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, denn ich glaube, vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass Rollstuhlfahrende nicht automatisch gleich gelähmt sein müssen. Er leidet bis heute unter Schmerzen und versucht durch die Physio diese Schmerzen irgendwie zu ertragen - somit bildet er ein Gegenstück zu Willa, für die der Schmerz ein Rettungsanker ist. Mir hat sehr gut gefallen, dass die Behinderung von Elias zwar immer wieder erwähnt wird, nie aber ploteingreifend ist. Er ist ein sehr aktiver, lebensfroher junger Student, der Sport treibt, im Zentrum aushilft und für Willa häufig der supportende Partner ist.

 

Während der Umgang mit den Mental Health Problematik und der körperlichen Auswirkungen des Unfalls mir sehr gut gefallen haben, fand ich den Umgang der Autorin mit dem Rollstuhl etwas irritierend. Das ist mein einziger Kritikpunkt. Obwohl die Autorin Gesellschaftskritik ausübt, ist das Thema Barrierefreiheit nie ein Thema. Ja, ich finde es gut, dass für Elias und für Willa die Behinderung keine große Rolle spielt, aber nein, wir leben nun mal nicht in einer Utopie und unsere Gesellschaft (die deutsche Gesellschaft bildet hier innerhalb von Europa ein beschämendes Schlusslicht in Punkto Barrierefreiheit und Inklusion!) behindert Menschen, die auf einen Rollstuhl oder andere Hilfsmittel angewiesen sind, und verweigert ihnen eine Teilhabe. Das ist aber nie Thema im Buch und das finde ich sehr schade. Elias ist in Kneipen, Planetarien, öffentlichen Plätzen unterwegs und hat nie Probleme. Er sitzt auf einer Bühne und es wird nicht thematisiert, wie er runterkommt. Er wird niemals behindert, nie aufgehalten. Als er dann doch mal durch Treppen aufgehalten wird, kommt Diaz und trägt ihn mehrere Stockwerke hoch. Oben angekommen sitzt er sofort wieder in seinem Rollstuhl, wie der hochgekommen ist, wird aber nicht erwähnt. Diaz atmet nach dieser Aktion nicht einmal schwer.

 

Das Herzstück der Geschichte sind die Freund*innen von Willa und Elias. Ich habe die Mädels+Dackel WG sehr lieb gewonnen und besonders mochte ich die Dynamik zwischen Diaz und Elias. Das vorliegende Buch ist Teil einer Dilogie. In der Fortsetzung werden Diaz und Ada in den Mittelpunkt gerückt. Wie die nächste Geschichte angekündigt wird, hat mir persönlich ebenfalls sehr gut gefallen. Fast ein wenig schade, dass die Autorin ausgeschlossen hat, dass aus der Dilogie eine Trilogie werden könnte. Die Dynamik innerhalb der Freundesgruppe und wie zwei Freundeskreise zusammenwachsen hat mir sehr gut gefallen.

 

Die Autorin gendert konsequent. Sie hat dafür eine wundervolle elegante Form gewählt. Alle Personen, die Angst haben, das Gendern könnte unsere deutsche Sprache "verhunzen", würde ich gerne Justine Pusts Roman empfehlen, denn die genderneutrale Form fällt nicht auf, fügt sich toll in den flüssigen Schreibstil ein.

 

Mich hat "Wo die Sterne uns sehen" und die Geschichte um Elias und Willa sehr berührt. Es ist nicht das letzte Buch, das ich von der Autorin gelesen habe und kann das Buch allen empfehlen, die Interesse an Liebesgeschichten, Entwicklungsromanen und Themen wie Mental Health und Repräsentation von Menschen mit Behinderungen haben. Justine Pust ist hier eine sehr respektvolle, tiefgehende, und zugleich optimistische romantische Geschichte gelungen. Vielen Dank für die schönen Lesestunden! Ich vergebe 4 Sterne und kann den Roman nur wärmstens empfehlen.

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